Sonntag, Oktober 13, 2024
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Was vereint uns in Europa?

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 14, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 19. Juni 2024)!

Eine gute Frage, über die EM hinaus.

Ein grauer Stift, mit dem in blauer Farbe etwas geschrieben wird.Liebe Leserin, lieber Leser,

fünf Tage vor Erscheinen dieses Heftes, hat sie begonnen: die Fußball-EM der Männer. Hoffentlich erfolgreich! – Entsprechend will ich ein wenig über eine europäische Erfolgsgeschichte aus dem Fußball erzählen. Diese reicht – mit Wangen im Allgäu – sogar bis in unsere Nähe. Zugleich weist sie m.E. über die Bedeutung des runden Leders hinaus:

Sie hat mit 3 Buchstaben zu tun: F-C-B. Richtig 😉 dem Fußball Club Barcelona. Um den FC Bayern geht es hier nur insofern, weil es eines gibt, »was beide FCBs verbindet: Minderheiten spielten in den Anfängen ihrer Geschichte eine prägende Rolle. Beim bayerischen Großclub waren es Juden wie Präsident Kurt Landauer und Trainer Richard “Dombi” Kohn; bei den Katalanen waren es deutschsprachige Protestanten wie der Schweizer Hans “Joan” Gamper oder der Heidenheimer Otto Maier.

„Hr. Hans Gamper, von der Fußballsektion der Sociedad Los Deportes sich wünschend in Barcelona einige Spiele zu organisieren, bittet jeden, der diesen Sport mag, ihn zu kontaktieren und dienstags oder freitags von 9 bis 11 Uhr abends in die Redaktion zu kommen.“ So lautet 1899 die Geburtsanzeige des FC Barcelona in einem Abschnitt der Zeitung Los Deportes. Statt Hans steht im Original allerdings “Kans”. Vielleicht war dieser Druckfehler der Grund, warum er sich künftig katalanisch “Joan” nannte. Als Joan Gamper wurde er jedenfalls zur Legende. Die Sportstadt “Ciutat Esportiva Joan Gamper” ist unter anderem nach ihm benannt. Also das Trainingsgelände des FC Barcelona.

Gamper kam im Oktober 1898 aus der Schweiz nach Barcelona – aus Lust am Abenteuer und um Arbeit zu finden… Sportverrückt wie er war, übte er alles Mögliche aus. Am liebsten kickte er. Das wollte er nun auch in ­Barcelona tun… Aber Gamper hatte einen Makel, der es ihm unmöglich machte, in den örtlichen Vereinen Anschluss zu finden: Er war Ausländer, und v.a war er – evangelisch. Spanien dagegen war der Hort eines sehr entschlossenen Katholizismus.

Weil also niemand mit den Ketzern aus dem Ausland kicken wollte, kickten die eben miteinander. Der Ort dafür war die deutsche, oder besser deutsch-sprachige evangelische Gemeinde in Barcelona. Diese Betonung ist wichtig, weil bereits damals Deutsche und Schweizer, Lutheraner und Reformierte in Barcelona locker nationale und konfessionelle Grenzen übersprangen…

Über den Treffpunkt Kirche lernte Hans Gamper z.B. den Heidenheimer Otto Maier (1877-1965) kennen, den ersten etatmäßigen Mittelstürmer des FC Barcelona… Gemeinsam mit weiteren jungen Männern aus der evangelischen Gemeinde, sowie katalanischen Straßenkickern aus der Nachbarschaft, spielte man abends nach der Arbeit auf der Esplanade vor Barcelona´s “Arc de Triomf”. Dort gab es gute künstliche Beleuchtung: Man konnte auch nach Sonnenuntergang kicken.

Otto Maier war als Angestellter der Firma Hartmann nach Barcelona gekommen. In der juristischen Abteilung der Firma arbeitete er dort mit einem katalanischen Kollegen namens Enrique Ducay zusammen, der genauso verrückt nach der “Fußlümmelei” war wie er selbst; und nahm ihn mit zur Gemeindemannschaft.

Fusslümmelei – über Stauch[=Fuß]ballspiel und englische Krankheit” so heißt ein Anti-Fußball-Buch, das Karl Plank (Gymnasialprofessor in Stuttgart) 1898 veröffentlichte; mit dem Ziel, diesen Sport zu verunglimpfen. Genutzt hat es nichts. – Gamper, Maier und Ducay riefen am 29.11.1899 zusammen mit 9 weiteren Mitstreitern den FC Barcelona offiziell ins Leben. Es sollte ein Club sein, in dem jeder willkommen war – unabhängig von seiner Religion oder Herkunft, und in dem nur der Sport zählte.«

Bild mit blauem Hintergrund und 12 in einem Kreis angeordneten Sternen, das die Europaflagge zeigt.
Europaflagge – kostenlos aus Pixabay

Doch was vereint uns nun in Europa, wie eingangs gefragt? – Die Antwort klingt in dem an, was Barcelona als Club ausmacht: Europa soll ein Ort sein, in dem das “United by Menschsein” zählt. Um es angelehnt ans EM-Motto zu sagen.

Dabei spielt die Frage, “wie wir Mensch sein sollten”, jedoch eine entscheidende Rolle! – Welche, das bringt Ernst-Wolfgang Böckenförde vor 60 Jahren auf den Punkt; als er bei den deutschen Katholiken für die damals noch junge Bundesrepublik wirbt: Nämlich, dass

ein säkularisierter, weltlicher Staat aus jenen Bindungskräften leben muß, die der religiöse Glaube seiner Bürger vermittelt. Freilich nicht in der Weise, daß er zum >christlichen< Staat rückgebildet wird, sondern in der Weise, daß die Christen diesen Staat in seiner Weltlichkeit nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen, sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und zu realisieren auch ihre Aufgabe ist.

Dieses Diktum ist heute wichtiger denn je. Wir sollten es (uns) auf die Fahnen (Europas) schreiben. Um der Freiheit willen. Egal woher und welchen Glaubens wir sind. –

Doch nun zurück zum FCB: Joan Gamper wurde 1908 selbst Präsident des Clubs. Ich bin mir sicher, er hat ihn in diesem Geist geleitet. Aber wie kriegen wir zum Schluss noch die Kurve nach Wangen im Allgäu? Derart, dass Gampers Nachfolger 1876 dort geboren wurde: Otto Helmuth Gmelin, der einzige „deutsche“ Präsident in der Vereinsgeschichte des FC Barcelona.

Raimund Miller, Kurseelsorge


Für den Text wurden, mit der freundlichen Genehmigung des Autors, Teile des zuerst im „Sonntagsblatt – Evangelische Wochenzeitung für Bayern“ erschienenen Beitrags „Wie deutschsprachige Protestanten einst den FC Barcelona gründeten“ von Markus Springer verwendet. Den ganzen Artikel finden Sie, indem Sie auf den Link im vorigen Satz klicken.