Freitag, April 26, 2024
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Unterbrechung

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 08, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 15. April 2020)!

Liebe Leserin, lieber Leser,

was war das für ein Ostern dieses Jahr? Sehr anders. Vieles, was diese Festzeit besonders und schön macht, durften wir nicht. Während ich dies schreibe, gibt es unverändert massive Einschränkungen unsres Lebens. Zwangsmaßnahmen. Sind Grundrechte außer Kraft gesetzt. Die komplette gesellschaftliche Normalität unterbrochen. Das alles angesichts hunderttausender Corona-Infizierter, zigtausend Verstorbener, unzähliger bedrohter Menschen. – Liebe Leserin, lieber Leser, haben wir je in solchem Ausmaß unsre Ohnmacht erfahren,

…mit solcher Wucht die höhere Gewalt?

Corona, eine Geißel, womit die ganze Menschheit geschlagen wird, Corona eine Strafe Gottes, orakeln manche… Gütiger Himmel! Wir brauchen was Aufbauendes, um zu verstehen, was uns gerade widerfährt! Danach frage ich, und stoße auf Dietrich Bonhoeffer. Vor 75 Jahren, noch kurz vor Kriegsende, wurde er vom Naziregime hingerichtet. Gepackt hat mich sein Satz:

„Wir müssen bereit werden, uns von Gott unterbrechen zu lassen.“

Dietrich Bonhoeffer, evangelischer Pfarrer und Theologe. Foto: Bundesarchiv – CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

(1937 in „Gemeinsames Leben“ S. 84) Über diesen Satz stolperte schon sein Freund und Mitarbeiter Eberhard Bethge. Stutzte, und schmunzelte erstmal. Er erinnerte sich, wie ungehalten Dietrich B. auf Störung bei der Arbeit reagieren konnte. Im Predigerseminar Finkenwalde, wo er den Pfarrernachwuchs der Bekennenden Kirche ausbildete, hatte ein neuer Kandidat sich dafür einen Verweis geholt. Später erzählte Bonhoeffer seinem Freund (und gestand es auch dem Kandidaten), dass der ihn tatsächlich aus bitterer Grübelei gerissen und mit seiner Frage zur Mitte des Glaubens gewiesen hätte:

Heilsame Unterbrechung…

– Ok, von langweiligem, ungeliebtem G‘schäft lässt man sich gern ablenken. Aber bei ’ner Lieblingsbeschäftigung oder wichtigen Arbeit wird man bei Störung schnell mal gereizt. Dazu (auch quasi selbstkritisch) O’ton DB: „Man überschätzt recht leicht das eigne Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man nur durch andere ist.“  Und, ebenso realistisch wie tiefgründig: “Gott wird unsere Wege und Pläne immer wieder, ja täglich durchkreuzen, indem er uns Menschen mit ihren Ansprüchen und Bitten in den Weg stellt.“

…durch GOTT?!?

– Im Kirchenkampf unterm Naziregime ist Bonhoeffer ständig und krass unterbrochen und herausgerissen worden. Die Ausbildungstätigkeit im Predigerseminar, „eine der schönsten Aufgaben“: 1939 endgültig verboten. Die so wichtigen ökumenischen Kontakte: stranguliert. Für die vielversprechende akademische Laufbahn: das Aus per Lehrverbot. Zensur. Redeverbot. Veröffentlichungsverbot. Seine Mitarbeit im Widerstand, um

„dem Rad in die Speichen zu fallen“:

Abgebrochen, er inhaftiert. Von seiner Verlobten getrennt, abgeschnitten von Familie und Freunden – und dies schließlich im Angesicht des Todes: es war die Härte!  Da hat auch er manchmal empört aufbegehrt, war verunsichert, frustriert, zuweilen tief deprimiert. Ein wenig davon lässt er durchblicken in Briefen und Notizen. Eins aber findet sich gar nicht, im Kontrast zu anderen Stimmen seiner Zeit: ein Reden von „Strafe Gottes“. Denn das wäre anmaßend – so als ob man in Gottes Beraterstab sitze! Klar ist es dran, das eigene Tun und Lassen selbstkritisch auf seine Folgen zu überprüfen, ggf. Fehler ehrlich einzugestehen. Aber

alles Deuten hilft nur, wenn es tröstet, Kräfte freisetzt, Inspiration + Mut gibt

Für die nötigen Schritte. „Strafe“ provoziert Angst oder Trotz; lässt die Leute sich ducken, macht unfrei, beugt und lähmt. Konstruktiv hingegen wär‘s, diese gewaltige Krise als von Gott gegebene Unterbrechung anzusehen. Dass sie einen drausbringt, ja, erschüttert und man erstmal keinen Sinn drin sieht, ist nur menschlich. Dazu DB’s Hinweis: „Wo der Verstand sich entrüstet, unsere Natur sich auflehnt, unsere Frömmigkeit sich ängstlich fernhält, gerade dort liebt Gott es zu sein.“

Ein Ja also zur Unterbrechung?

Dazu dass jetzt was anderes geboten ist als normal. Nicht nur andere Aufgaben, andere Vorsicht. Sondern auch, dass wir anders erleben, uns selbst und die anderen. Die Welt anders erfahren. Dann wird der Satz „Wir müssen bereit werden, uns von Gott unterbrechen zu lassen“ zum Schlüssel, um im „Verflixt! Furchtbar! Verdammt!“ die Tür zum Positiven, zu dem was aufbaut, zur Chance aufzuschließen.

In diesem Sinne Ihnen/ Euch allen Bonhoeffers Wunsch:

„Gott leite uns freundlich durch diese Zeiten, und vor allem führe er uns zu sich.“

Verena Engels-Reiniger