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Mein Stück Land

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 18, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 30. August 2022)!

Mein Stück Land

„Wenn meine Seele aufatmen will, gehe ich in den Garten.“ So steht‘s auf einem Schild an der Gärtnerei in Kloster Reute. – Liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht spricht Ihnen das aus dem Herzen? – Auch die Gartenarbeit hat meine Mutter immer gern getan trotz Schmerzen wegen Arthrose & Co. So dass sie sich noch mit über 90 Jahren danach sehnt… Meinen Vater dagegen interessierte der Garten hauptsächlich zu dieser Jahreszeit, wenn Birnen und Zwetschgen reif wurden. Da pflückte er genüsslich… Ein Titel in seinem Bücherregal damals faszinierte mich: „Der Garten des Menschlichen“

Mit dem Erdboden schaffen, säen, pflanzen, hegen und pflegen, schließlich ernten … das ist so erfüllend! (Bild: Lynniet17 / gemeinfrei aus Pixabay)

Das stammt von Carl Friedrich v. Weizsäcker und spricht von einer Vision. Sie wird weltweit von Unzähligen geteilt: Die Vision von einer Kultur des Umgangs miteinander und mit der Erde, wo alle Lebewesen in ihrer Vielfalt gedeihen und sich entfalten können. – Von Natur aus ist es ja so: Wenn das Stück Land, das Garten sein soll, nicht kultiviert wird, herrscht Konkurrenz um Wasser, Nährstoffe und Licht. Wenige Starken dominieren, viele Lebewesen haben da kaum eine Chance. Im „Garten des Menschlichen“ hingegen gelingt es, dass die Zarten und die Starken, Großen und Kleinen kooperieren und in Balance miteinander leben.  Ähnlich wie in einem gut gepflegten Naturgarten die Pflanzen mit den Bakterien, Insekten und sonstigen Organismen im Gleichgewicht sind.

Schon im biblischen Urtext zur Schöpfung, in Genesis 2 (8 und 15) heißt es: „Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewahre“. Kein Wunder, dass so viele Leute aus Werkeln im Garten so viel für ihre Seele schöpfen. Mit dem Erdboden schaffen, säen, pflanzen, hegen und pflegen, schließlich ernten … das ist so erfüllend! Und zugleich ein tiefgrün-diges Bild für’s Menschenleben. Der Dichter-Priester Huub Oosterhuis hat es wunderbar treffend ausgedrückt: „Unsere Lebenszeit auf Erden ist wie ein Stück Land, uns anvertraut“.

Hier eine Meditation dazu:

Schau ich hinaus auf die Felder und Äcker, auf Bäume voller Früchte,
auf Gärten mit Blumen, Gemüse und Obst – da kommt mir der Gedanke:
Ist nicht auch mein Leben wie ein Stück anvertrautes Land unter dem weiten Himmel? –
Lass einmal sehen, was da gewachsen ist. Ich schaue zurück und erinnere mich:

Viel Arbeit war in all den Jahren... Man hat sich etwas aufbauen wollen oder müssen.
Hat unter Mühe und Sorgen, mit Hoffen und Bangen gestrebt und gearbeitet. 
Hat sich mit Widrigkeiten herumgeschlagen; hat sich zeitweise wirklich plagen müssen.
Doch es hat einen ausgefüllt und zufrieden gemacht, was man hat schaffen können,
solange die Gesundheit und die Kräfte mittaten.

Und zwischenrein war auch Feiern angesagt! 
Sich ausruhen und genießen, gelegentlich fortfahren, in Urlaub gehen; 
das ein oder andere Hobby pflegen, was einem Freude macht...  
In der Familie, unter uns Verwandten ging’s mal so, mal so... 
In der Ehe, in der Partnerschaft ebenfalls... 
Als Kolleg*innen, als Nachbarn – naja,  wie überall:
mal gut miteinander, mal mehr nebeneinander her; zeitweilig auseinander,
zuweilen auch hart gegeneinander...

Glück hab ich erlebt, und Unglück...  Gewonnen habe ich, und auch verloren...
und im Rückblick stellt’s sich manchmal grad andersrum dar...
Gutes hab ich erfahren, Gutes empfangen, doch –
auch, was sich nicht in Geld und Besitz rechnet...
Was hab ich alles ertragen? 
Hab manches erleiden, durchstehen und durchkämpfen müssen, zuweilen ganz allein... 
Doch zuweilen gab‘s Hilfe, unschätzbar wertvoll, und treu...

Vieles ist mir richtig gut gelungen auf meinem Stück Lebensland.
Manches hab ich wohl auch versäumt, und manches verdorben... –
Vielmals bin ich bewahrt worden in Not und Gefahr,
und nicht selten hab ich’s erst hinterher gemerkt.

Genau betrachtet liegen Teile meines Lebenslands noch brach... 
konnte ich bisher nichts damit anfangen? 
Aber vielleicht ab jetzt in der Zukunft... 
Wie gut, dass sich immer wieder Chancen auftun zum Positiven. 
Und auch früher noch gar nicht wahrgenommene Möglichkeiten 
auf meinem Stück Lebensland, Gutes zu erleben, Gutes zu tun.

Bin ja nicht allein auf diesem Stück anvertrautem Land. 
Schon vor mir haben viele den Boden bestellt, 
so dass ich teils ernte, wo ich nicht gesät habe.
Und von dem, was ich säe zu meiner Zeit, was ich hege und pflege: 
wieviel werde ich wohl noch aufwachsen und blühen sehn dürfen? 
Was wird Früchte tragen, zur Reife kommen...?

Denke ich über alles nach und schau es mir in Ruhe an,
dann sehe ich Spuren, Spuren von Segen.
Da ist eine Ernte einzubringen Jahr um Jahr (und irgendwann einmal am Ende):
Meine Lebens-Ernte – Gott sei Dank!

Soweit die Meditation. Hier zum Schluss der vollständige Satz, wie Huub Oosterhuis ihn aufschrieb – denn es ist eine große Wohltat, das eigene Dasein so zu sehen: Als ein Stück anvertrautes Land unter dem weiten Himmel, über dem die Sonne des göttlichen Erbarmens aufgeht Tag um Tag.  Amen.

Verena Engels-Reiniger