Herbst verpflichtet
Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 19, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 15. September 2021)!
Früchte ernten und Blätter fallen
Dass der Herbst die Zeit der Ernte ist, verdeutlicht schon sein Name. „Herbst“ ist verwandt mit „harvest“, englisch für Ernte(zeit) oder dem Griechischen „karpos“, d.h. Frucht. Und geerntet werden die Früchte, die es zuvor heranzuziehen galt. – Im Amerikanischen heißt der Herbst dagegen „fall“. Gemeint ist dort die Zeit, in der die Blätter fallen. Und diese nähert sich, sobald die Kraft der Sonne nachlässt, die Tage kürzer und die Abende kälter werden. Oder um es mit den Worten des Schweizer Dichters Johann Gaudenz von Salis-Seewis auszudrücken: „Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder, und der Herbst beginnt. Rote Blätter fallen, graue Nebel wallen, kühler weht der Wind.“
Flüchtiges Bunt
Darüber hinaus ist der Herbst ein Symbol für unsere Existenz. Eines, das dazu einlädt, Parallelen zwischen seinem Zustand und unserem Leben zu ziehen. Der Herbst lässt sich bspw. mit dem dritten Lebensalter zu vergleichen. Einer Zeit, in der Manches zur Reife gelangen möchte. Einer Zeit, die häufig als bunt und vielfältig erlebt wird. Doch weil aus dem Vielen, was angeboten wird, nur das Wenigste wahrzunehmen ist, scheint es, als liefe einem eben diese Zeit weg. Sie vergeht gefühlt wie im Flug und entsprechend ist es nicht leicht, das „Bunte“ zu genießen.
Freude und Dank
Doch eben darum geht es: Nach dem Schönen Ausschau zu halten, es zu betrachten und Freude an ihm zu haben. Anstatt permanent etwas leisten zu müssen, wäre es schön, (nicht nur) im dritten Lebensalter einfach bloß einmal da sein zu können und vom Erworbenen zu leben. – Aber so sein zu dürfen, ist ein Geschenk. Und es ist ein Geschenk, (nicht nur) den Herbst des Lebens fruchtbar gestalten zu dürfen, sodass Liebe und Dankbarkeit das Leben erwärmen.
Zeit der Vorbereitung
Zugleich ermöglicht der Herbst in besonderer Weise eine Chance, sich an das Sterben und Vergehen zu erinnern. D.h.: Ausbleibendes Wachstum, sich zurückziehende Lebenskräfte zeichnen ihn aus und bieten sich an, dasselbe für uns anzunehmen. Z.B. buntes Herbstlaub, vom Wind gelöst: Es zeugt vom Abschied nehmen, vom Fallen und letztlich davon, wie Rilke sagt, dass da einer ist, „welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“. Und überdies könnte man auch sagen: Herbst verpflichtet. Oder wie Hesse es ausdrücken würde: Es ist ein Muss für das Herz, bereit zu sein. Bei jedem Ruf des Lebens. Bereit zum Abschied, aber auch zum Neubeginn.
Bewegung – von alt zu neu
Die Bereitschaft zu Abschied und Neubeginn – ein Muss!? Sich verabschieden und neu beginnen müssen, wer will das schon? Wäre es nicht viel einfacher, da bleiben zu können, wo man ist!? Zumal man doch gerade seinen Platz gefunden, sich eingewöhnt hat? – Nein, das soll wohl so nicht sein. Ja mehr noch: Auf Abschied folgt immer Neubeginn. Was nichts anderes heißt, als dass das Leben nun nicht mehr so ist, wie es war. Im Gegenteil: Alte Gewohnheiten müssen aufgegeben werden, man muss sich um- und auf Neues einstellen. – Und ist nicht aller Anfang schwer!?
Vielleicht ist das so. Doch das Neue ist auch eine Herausforderung im positiven Sinn. Es bringt zum Vorschein, was wir alles an Gaben und Fähigkeiten in uns tragen. Entsprechend heißt es in Gregor Linßens „Messe vom Licht“: „Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom, brecht aus euren Bahnen, vergebt ohne Zorn. Geht auf Gottes Spuren, geht, beginnt von vorn.“ (nachzuhören auf Youtube) – Leben ist demnach Bewegung, bzw. Abschied von Menschen, Orten und Dingen. Und manchmal ist dieser Abschied eine Erleichterung – z.B. für die Israeliten, als sie die Sklaverei in Ägypten hinter sich lassen konnten.
Wenn der Abschied aber schwerfällt, dann ist da nicht nichts, sondern Hoffnung. Gregor Linßen formuliert diese so: „Du (Gott) bist die Wolke, die uns durch Wüsten führt. Du bist die Ewigkeit, die uns im Traum berührt. Du bist der, der die Liebe lehrt, der Geist, der uns beseelt; unser Leben zählt im Bund mit dir.“ – So betrachtet steht nun der Neuanfang im Vordergrund. Und dieser macht das Leben lebendig. Denn, um zum Schluss nochmals Hesse zu zitieren: Es wohnt ihm doch jedes Mal neu „ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“
Ein treffenderes Wort für Zauber ist hier für mich Segen. Und eben diesen Segen wünsche ich allen, welche im September neu angefangen haben – bzw. es noch tun (Auszubildenden und Wald-/Kindergartenkindern; Neu-/Schüler:innen, Pfarrer:innen sowie Kolleg:innen in Betrieben und Kirchen; u.a.a.) – mit Worten aus dem alten Irland:
Du, Gott der Anfänge, segne uns,
wenn wir deinen Ruf hören,
wenn deine Stimme uns lockt
zu Aufbruch und Neubeginn.
Du, Gott der Anfänge, behüte uns,
wenn wir loslassen und Abschied nehmen,
wenn wir dankbar zurückschauen auf das,
was hinter uns liegt.
Du, Gott der Anfänge,
lass dein Gesicht leuchten über uns,
wenn wir vertrauend
einen neuen Schritt wagen
auf dem Weg unseres Lebens.
Du, Gott der Anfänge, segne uns.
Amen.
Raimund Miller, Kurseelsorger