Dienstag, November 12, 2024
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Gesunder Trotz

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 20, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 29. September 2021)!

Gesunder Trotz und Eigensinn

Am Ende der Ferienzeit können hoffentlich viele von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, auf erfüllte Urlaubswochen zurückschauen! Bewahren Sie sich die schönen Eindrücke und ein gutes „Erholungspolster“! Im Alltag müssen wir uns halt wieder mit so manchem herumplagen… Da biete ich Ihnen eine Geschichte an, die, ausgerechnet, von Palmen handelt: Palmen, Inbegriff südwärts gerichteter Urlaubssehnsüchte…

Wie alle Bäume sind sie geradezu Persönlichkeiten im Pflanzenreich, Persönlichkeiten von besonderem Wuchs:
Der eine Stamm teilt sich ab einer bestimmten Stelle in lauter ungefähr gleich dicke Zweige auf, die sich im Bogen ringsum nach allen Seiten strecken – sehen Sie’s vor Ihrem inneren Auge? Und wie bei den Menschen, so gibt‘s auch bei Palmen ein Schönheitsideal: Gerade, schlank und hoch, die Zweige möglichst gleichmäßig, so soll sie sein. Nur, wie viele entsprechen dem Ideal?

Tja, wer weiß, wie die Bäume sich untereinander wahrnehmen… Ob sie sich so wie wir Menschen miteinander vergleichen? Doch mit dem Vergleichen, das wissen wir, ist‘s so eine Sache…– Schauen wir uns eine Palme mal genauer an: Da, wo der Stamm sich oben teilt, ist für Vögel ein prima Platz zum Sich-verstecken, Übernachten, auch zum Nisten. Keine Palme, die es nicht als Ehre betrachtet, wenn ein Vogel sich auf ihr ausruht oder sogar sein Nest baut! Eine leichte Last und willkommen, macht ihr Leben lebendig und abwechslungsreich.

Bild: gemeinfrei aus Pixabay

Aber eine kleine Palme hatte großes Pech: Sie stand am Rande einer riesigen Pflanzung dicht beim Weg. Den ganzen Tag schon freute sie sich, weil auch auf ihr sich immer wieder ein Vogel niederließ, hüpfte und sang, sich plusterte und wieder aufflog. Das beobachtete ein Mensch, der des Weges kam. Er nahm einen dicken, schweren Steinbrocken, verscheuchte den Vogel und legte den Brocken in die Verzweigungsstelle. „So, jetzt kannst du zusehen, wie Du groß wirst!“ rief er schadenfroh und ging davon.

Was für eine bittere Last war der kleinen Palme nun auferlegt! Der scharfkantige Steinbrocken zwang ihre Zweige schmerzhaft weit auseinander. Stöhnend neigte sie sich mal zur einen, mal zur andern Seite, um ihn abzuwerfen. Doch es gelang ihr nicht. Da sagte sie sich: „Wenn doch ein Wind käme, stark und heftig – der könnte mir helfen, den bösen Brocken abzuschütteln!“ Doch es wehte nur ein leises Lüftchen, der Stein blieb fest an seiner Stelle sitzen. Wie das drückte!

Es kostete sie große Anstrengung, trotzdem weiter zu wachsen. Für jeden Millimeter musste sie sich viel mehr plagen als ihre gleichaltrigen Kameraden. Gebeugt unter dem schweren Gewicht, wurde ihr Stamm allmählich schräg. Immerhin schafften sie es, an der Verzweigungsstelle eine besonders kräftige, elastische Rinde auszubilden: Nun schmerzte der Brocken nicht mehr so. – Allerdings blieb sie an Größe hinter den anderen zurück, so dass man sie immer „die kleine Palme“ nannte.  Dennoch gelang es ihr, gegen die ihr aufgebürdete Last in die Höhe zu kommen. Das wollte sie unbedingt, dafür gab sie sich alle Mühe. Und als die Zeit reif war, brachte sie ihre Früchte hervor genau wie die anderen. Sie trug nicht ganz so viele, jedoch schmeckten sie intensiver, hatten ein köstliches Aroma! Wer eine solche Frucht bekam, staunte, und genoss…

So gingen viele Jahre ins Land. Längst waren alle Palmen der Plantage erwachsen. Da kam eines Tages ein furchtbarer Sturm und fegte über sie hinweg. Verheerende Schäden richtete er an, ein Großteil der Bäume wurde aus dem Boden gerissen, viele stürzten um oder knickten ab. Von denen am Rande blieb keine stehen außer einer: schräg aufrecht, sehr zerzaust, aber unversehrt – unsere kleine Palme! Der Besitzer der Plantage, der verstört seine zerstörte Pflanzung anschaute, betrachtete sie voll Verwunderung: Wie hatte sie im Sturm bestehen können?

Er untersuchte sie genau. Da zeigte es sich, dass sie sich ungewöhnlich tief im Boden verwurzelt hatte und das Holz ihres Stammes fester, dichter gewachsen war als bei den übrigen. Außerdem hatte der Sturm sie wegen ihrer geneigten Haltung nicht so heftig angreifen können. – Neugierig kletterte der Mann an ihr hoch. Da entdeckte er den Steinbrocken, umschlossen von den Zweigen. Er konnte ihn nicht wegnehmen, er war mit der Palme verwachsen.

Der Mann machte sich daran, von neuem zu pflanzen und zu hegen. Doch am Stamm der kleinen Palme brachte er eine Gedenktafel an. Darauf stand geschrieben: …  …  … – Tja, das dürfen Sie sich selbst ausdenken, liebe Leserin,  lieber Leser. – Mir hat die kleine Palme gezeigt, dass es Gnade ist, wenn man sagen kann: „Gott legt uns eine Last auf – aber er hilft uns auch.“

Ihre Verena Engels-Reiniger