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Gott mal „anschaulich“

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 12, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 09. Juni 2021)!

Gott mal „anschaulich“

Eigentlich geht das ja nicht, Gott zu malen. Niemand hat ihn je gesehen. Auch Künstler könnten höchstens ein paar Aspekte ins Bild setzen nach ihren Vorstellungen. Und da sind Sie, liebe Leser, eingeladen, sich hier Lukas Cranachs Ansicht von Gott anzusehen, seine Vision der „Heiligen Dreifaltigkeit über einer Landschaft“ (1515).

Auffällig: Gott ist  i n  der Welt! Wir denken ihn uns oft jenseitsmäßig fern, doch er wirkt im Diesseits. Zwar geheimnisvoll in einer besonderen Sphäre: das Oval aus Wolken und Engeln – aber mitten in Raum und Zeit, in denselben Farben und Formen wie das Land darunter. Er ?! Gott erscheint dreifach, soz. im Plural. Tja, früher redete man hohe Persönlichkeiten mit „Ihr“ und „Euch“ an. Ist heute aus der Mode, aber Gott gegenüber wär’s eigentlich angemessen.

Ich zögere oft, wenn ich beten will: Wie zu Gott Du sagen, wo er doch Himmel und Erde, das ganze Universum mit Leben erfüllt und bewegt?! – D a  kann man ihn allerdings nur indirekt aus der Schöpfung erahnen, eher abstrakt. Offenbart hat Gott sich erst im Menschen schuf sie „sich zum Bild, männlich und weiblich“: Nur im Rückschluss daraus durften Künstler sich trauen, Gott in Menschengestalt darzustellen! Als Person, weil er uns persönlich anspricht. Drum kann auch jede/r sich persönlich an ihn wenden, beziehungsweise an sie, die heilige Dreifaltigkeit „im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. – Cranach hat Gott traditionsgemäß männlich und alt dargestellt: als Großvater, besser: Urvater von allem, Urheber der Welt. – Das legt Gott patriarchal fest – von der Bibel her inkonsequent: Hat Gott die Menschen männlich und weiblich sich zum Bild erschaffen, so muss Gott beides gleichermaßen sein.
Von Gottes Majestät zeugt die Krone und sein prächtiger Mantel. Doch der müsste eigentlich purpurfarben sein. Hier ist sein Gewand rot, sicher kein Zufall: Rot, die Farbe des Blutes, damit des Lebens und der Liebe…

Dann die Weltenkugel in Gottes Hand (bei irdischen Kaisern wär’s ein goldene Reichsapfel mit Kreuz darauf): vollkommene Form, perfektes Rund. Die Reifen drumherum signalisieren Geometrie, die Vermessung der Erde; das Gläserne: chemisch-technisches Können: Wissenschaft & Technik & Kunst also in und aus Gottes Hand! – Die sonst üblichen Herrscherzeichen fehlen: Thron und Szepter, Hofstaat, Wachen und Rüstung: Gottes „Herrschaft“ also unmilitärisch, sein Reich  ganz anders. Wenn‘s in der Bibel heißt „Herr Zebaoth der himmlischen Heerscharen“ –  weshalb man im Namen Gottes stets auch militärische Gewalt ausübte – ein schreckliches Missverständnis! Jesus, als man ihn gefangen nahm und kreuzigte, wurde voller Hohn aufgefordert, himmlische Heere herbeizurufen, um seine Gegner zu schlagen: Das hat er verweigert! Hat gewaltlos das Unrecht gegen ihn bis zum Tode auf sich genommen. –

Dabei ist er umgeben von E n g e l -scharen, bezeichnenderweise lauter Kindern: Versinnbildlichen sie die Seelen derer, die erst geboren werden sollen?  Oder die gestorben sind? Und: laut Jesus dürfen/ müssen wir ja für Gottes Reich werden wie die Kinder…

Nun sticht in Cranachs Darstellung hervor, dass Jesus in den Himmel erhöht noch am Kreuz ist! Warum nicht als Kind in der Krippe, oder wie er  verkündigt und heilt? Oder immerhin als Auferstandenen, der Leiden und Tod besiegt hat: Bleibt das Kreuz etwa, weil nach wie vor so viel gelitten und gestorben wird in dieser Welt?!Jesus gekreuzigt ganz nah bei Gott: hier ist er  a u f g e h o b e n, im doppelten Sinn. Dürfen wir das so verstehen: Jeder, der ein hartes Schicksal als sein Kreuz zu tragen hat, darf sich an Gottes Seite gehalten wissen – ? Gott, rot gekleidet, übt die Macht der Liebe aus; Liebe ist unvereinbar mit Gewaltanwendung, deshalb muss sie oft leiden. Auffällig auch, wie der Kreuzesstamm seitlich und unten bis zu den Engeln hin reicht; vor allem aber, dass zur Rechten Gottes der Querbalken mit Jesu Arm daran bis hoch zu Gottvaters Kopf und Krone aufragt: Darin könnte man eine Siegesgeste erblicken! Zumal auf der anderen Seite dieser Balken mitten in Gottvaters Brust dringt, oder daraus hervor-wächst… Der Maler ist offenbar überzeugt, dass Ostern den Karfreitag nicht ungeschehen macht. Kein „Betriebsunfall“ war. Sondern notwendig, um die Todesmächte gewaltlos zu überwinden. Und uns – Erlösung! – in dieses neue Leben hineinzuziehen. –

Zuletzt zur 3. göttlichen Person, dem Heiligen Geist, versinnbildlicht durch die Taube auf Gottvaters Herzseite, in Höhe von dessen Brust und Kopf, also von selbem Wesen und Rang. Doch das Schönste: Sie ist unterwegs! Eben noch im Flug, lässt sie sich auf der Weltkugel nieder – sprich, der ganze Kosmos samt unserem relativ winzigen Globus wird insgeheim von göttlicher Geistkraft beseelt, weise gestaltet und regiert. Unser Herz & Sinn sollen davon inspiriert werden: Öffne Dich, horch und sieh, fühl und bete…

Ihre Verena Engels-Reiniger