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Will haben

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 05, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 28. Februar 2024)!

„Will haben“: Gedanken zum Weltgebetstag aus Palästina (01.03.)

Bild zeigt einen Stift, mit dem etwas geschrieben wird„Der Frieden ist das Band, das Euch zusammenhält“ – liebe Leserinnen und Leser. So übersetzt das deutsche Weltgebetstagskomitee Paulus (in Epheser 4,3). Das wäre schön, wenn dem so wäre und wünschenswert: Zusammenhalt durch Frieden!

Noch schöner wäre, wenn das überhaupt bei Paulus stünde. Denn was dieser sagt, klingt zwar ähnlich, meint jedoch etwas anderes: „bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens!“. D.h., aller Menschen Ziel müsste die Einheit des Geistes sein. Und diese zu bewahren. Das ist mühsam, sagt Paulus. Kann aber erreicht werden, wenn wir uns durch den Frieden verbinden lassen.

Mit anderen Worten: Der Frieden ist nicht das Band, sondern er kann das Band sein, welches uns Menschen zusammenhält. Die Frage ist: Will ich – bzw. wollen wir – das auch wirklich haben? Denn „will haben“ bedeutet, so verrückt es klingt, gleichzeitig „nicht haben müssen“. Zumindest nicht immer für sich/mich allein.

Wie das gemeint ist, zeigt auf wunderbare Weise ein Abschnitt aus dem Film „Babies“: In einer Szene (s. nach diesem Abschnitt) sitzen da zwei Kinder und spielen. Neben Kind 1 (K1) liegt eine Flasche. Kind 2 (K2) wirft einen Blick darauf, will diese plötzlich haben und greift zu. K1 hält jedoch „seine“ Flasche fest. K2 ist damit allerdings überhaupt nicht einverstanden und beißt K1 in den Arm. Woraufhin dieses vor Schmerz (verständlicherweise) weinen muss und sich zu wehren beginnt – indem es K2 schlägt.

Das Ergebnis: Am Ende weinen beide Kinder. Wobei man K2 genau ansieht, dass es eigentlich weiß, es hat etwas falsch gemacht. K2 weint bloß, um sich selbst als Opfer darzustellen und keinen Ärger zu bekommen. „Will haben“ im Sinn von „ich nehme mir einfach das, was ich gerade will“ hat also nichts gebracht: außer Wut, Zorn, Tränen und Schmerz auf beiden Seiten.

Dabei hätte sich dieses Problem kinderleicht und gemeinsam lösen lassen. Ich würde am liebsten, jedesmal wenn ich diese Szene anschaue, hineinschlüpfen und zum zweiten Kind sagen: „Wenn du die Flasche haben möchtest, dann frag vorher dein Geschwister, ob du sie bekommst.“ Zudem würde ich sein Geschwister bitten, ob es bereit wäre, die Flasche abzugeben; für eine bestimmte Zeit, oder zumindest so lange, bis es selbst wieder damit spielen möchte. – Denn das ist der bessere Weg, als einfach zuzupacken plus zuzubeißen auf der einen Seite und zurückzuschlagen auf der anderen.

Allerdings muss dafür zuerst etwas Grundlegenderes geklärt werden. Nämlich die Frage, was ich als Mensch haben will: Die Einheit des Geistes, oder das Objekt meiner Begierde? Als Geschwister friedlich miteinander umgehen, oder um eine Flasche gegeneinander kämpfen? Ein scheinbar mühevolles, oder ein – dem Anschein nach – einfaches Leben? „Wir“ oder „Ich“? – Die Antwort darauf ist klar: Entsprechend dem, was ich wähle, fällt auch das Ergebnis aus.

Ich kann mich täuschen, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass wir Menschen immer und immer wieder die Option „Ich / will haben“ wählen. Vielleicht, weil etwas haben zu wollen an sich nichts Schlechtes ist. Jede*r von uns will doch – ob geistig oder materiell – etwas erreichen, in Händen halten, sein Eigen nennen. Ohne das kämen wir nicht voran, in der Entwicklung und im Leben. Wahrscheinlich ist das so in uns allen angelegt (durch Gott). Der Knackpunkt daran ist jedoch: Was, wenn das Wie dabei keine Rolle spielt? Also wenn wir uns einfach nehmen (was wir haben wollen), egal, wie?

Dann sind wir in der Ukraine und bei einem Mann aus Russland, der ohne Rücksicht auf Verluste sagt, „dieses Land gehört mir“. Dann sind wir in Israel und Palästina, wo der Gedanke „nur miteinander leben zu können“, sich einfach nicht durchsetzen kann, weil keine Seite die andere haben will. Dann sind wir an jedem Ort und zu jeder Zeit in der Geschichte der Menschheit und bei der Behauptung: Dieses oder jenes (Land) gehört mir – und müssten eigentlich merken, dass das nicht stimmt. Weil solches Denken im Tod endet. (⯇ Klicke auf den Link, um zu Nina Paleys Darstellung dessen zu gelangen.)

Das Gute (und zugleich Schlimme) an alldem ist: Christlich betrachet könnte es auf der Welt (schon lange) anders zugehen. Nämlich, wenn es Menschen mit Jesus wirklich Ernst ist. Z.B. im Blick auf das, was er zu Pilatus sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Wäre dem so, würde das bedeuten, dass es Kampf gäbe (Joh 18,36). Aber das tut es für Jesus nicht. Folglich kann das auch für alle, die ihm und an ihn glauben, nicht das Ziel sein – weil die Welt nicht uns gehört, sondern Gott.

Doch so zu glauben oder zu denken, ist von außen nicht machbar. Dessen ist sich Jesus bewusst. Man kann bloß versuchen, es als Regel mitzugeben und darauf hoffen, dass immer wieder eine*r sagt: „Will ich haben!“ Deshalb lautet (nicht nur am Weltgebetstag) Jesu An-Gebot an uns: „Liebt euch untereinander, so wie ich euch liebe“ (Joh 15,12). – Das braucht Demut und Geduld. Das ist oft anstrengend und schwer. Aber die Mühe lohnt sich, sagt Paulus (Eph 4,2). Weil dann – durch das Band des Friedens – „etwas“ entstehen kann, das hält: Wir.

Raimund Miller, Kurseelsorge


PS: Herzliche Einladung, am Freitag, 01. März, um 18:45 Uhr nach St. Verena – zum Weltgebetstagsgottesdienst