Sonntag, Oktober 13, 2024
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Neues Selbstbewusstsein

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 12, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 07. Juni 2023)!

Neues Selbstbewusstsein

Die Gratulation zu Pfingsten ist mir dieses Jahr im Hals steckengeblieben. Sonst war da im Gottesdienst immer ein fröhliches „…und wir feiern heute den Geburtstag der Kirche!“ dran. Aber die Kirche steht zurzeit ja so fragwürdig da! Sozialkontrolle läuft heutzutage genau andersherum als früher: ‘Was, noch nicht ausgetreten?!“, heißt’s mittlerweile. Denn Kirche ist für viele out. Mega out!

Bis vor ca. 10 Jahren waren zwar die meisten Mitglieder auch nicht gerade „Kirchspringer“. Gingen halt zu Weihnachten hin und wenn ’ne Taufe, Kommunion, Konfirmation oder dgl. anstand. Aber austreten? Da zögerten doch viele, vor allem auf katholischer Seite. Nicht zuletzt wegen der kirchlichen Beerdigung später mal. Inzwischen übersteigen die Austrittszahlen alle Prognosen, die aufgrund von Säkularisierung, Demografie und „Multikulti“ in unserer Gesellschaft je getroffen wurden. Von „Volkskirche“ kann keine Rede mehr sein. Immer öfter erleben engagierte Gemeindemitglieder, dass ihre Umgebung mit Kopfschütteln reagiert: ’Wie, du gehörst noch zu dem Verein?! Mit dieser Kirche will man doch nichts mehr zu tun haben!‘ Insofern dürften die meisten, die noch Mitglied sind, sich bewusst dafür entschieden haben – oder???

Keine Frage: Wer nicht (mehr) glauben kann, was von Seiten der Kirchen verkündigt wird, hat heutzutage zum Glück die volle Freiheit, auszutreten! Und wer mit Repräsentanten der Kirche üble Erfahrungen machen musste, braucht es schon für die eigne Psychohygiene, denen entschlossen den Rücken zu kehren! Obwohl ich in beiden Personengruppen Menschen kenne, die trotzdem mit guten Gründen drinblieben.

Doch der Großteil der Ausgetretenen hat in der Kirchengemeinde vor Ort und im Reliunterricht nichts Böses erlebt, sondern oft durchaus Positives. Gibt den Nachwuchs gern in eine evangelische/ katholische Kita, gar Schule. Hat keine Bedenken, den kirchlichen „Service“ zu nutzen zur Taufe/ Firmung/Trauung etc. Die Einrichtungen der Caritas und Diakonie. Musikalische und kulturelle Angebote der Kirche. Die Seelsorge… Oft sagen mir Leute, sie hätten sich  „natürlich“ distanziert von dieser Institution – und betonen im selben Atemzug mit andächtigem Blick: Unterwegs und auf Reisen gingen sie gern in jede offene Kirche hinein! Tja… Kein Gedanke daran, wer die Kirchbauten unterhält, das Personal, die Angebote, den Service finanziert…

Auch deshalb ist die Kirche in Schwierigkeiten. Gleich auf mehreren Ebenen. Wir Ehren- und Hauptamtlichen, das Bodenpersonal, sind stark verunsichert. Großenteils überlastet. Und ja, es kränkt! Es kränkt, wie geringschätzig, überheblich, ja, verächtlich manche ihre Distanzierung von Kirche äußern. Vor allem: wie kurzschlüssig!

Heute wär’s kaum denkbar, so wie 2005 die Bildzeitung zur Wahl Josef Ratzingers ins Petrusamt zu titeln „Wir sind Papst!“ Gut, auch damals konnten sich viele mit dieser Schlagzeile nicht identifizieren, weder als Deutsche noch als (zumal evangelische) Christen. – Das war 1989 ganz anders! Bis die Mauer fiel, skandierten die konsequent friedlich demonstrierenden Bürger „Wir sind das Volk!“, und so gut wie alle Deutschen haben eingestimmt! – Ich frag mich, ich frage Sie, Dich: Wann erheben die Christen der Basis endlich ihre Stimme und rufen  „Wir sind die Kirche!“ – ?

Hängt ganz von Ihrer/ Deiner Antwort ab auf die Frage: Können Sie sich, kannst Du dich mit der Kirche identifizieren? Trotzdem sie so sehr an Ansehen verliert teils zu Recht, teils zu Unrecht. Sich dennoch mit ihr identifizieren? Tja, Kommt ganz drauf an, womit. Prominente Vertreter:innen der Kirche wie Anselm Grün und Margot Käßmann, in- und außerhalb hoch verehrt, antworten sinngemäß etwa so: ’Wegen Bischöfen, Priestern, Pfarrer:innen und anderen Verantwortlichen, von denen sich einige schrecklich verfehlt haben, geh ich doch nicht raus aus meiner Kirche. Kirche ist ja so viel mehr! In der Kirche bin ich wegen Christus. Aus Glauben. Und Glauben braucht Gemeinschaft. Glauben schafft eine sichtbare Gestalt auf Erden. Natürlich nicht perfekt. Ständig zu erneuern. ‘

(gemeinfrei aus Pixabay)

Übrigens sind wir dieses Pfingsten im Gottesdienst doch noch richtig fröhlich geworden. Denn uns wurde klar, dass die GeistKraft von oben, „Himmelswind und Feuerzungen“ solche Begeisterung, so wunderbares Verstehen unter ganz normalen Menschen bewirkt haben. In Jerusalem, schon damals eine Multikulti-Gesellschaft war, unter total unterschiedlichen Menschen – aber eben Menschen wie Du und ich. Mit all ihren Eigenarten: Ecken & Kanten, Schwächen & Fehlern. U n d  all ihren Fähigkeiten, ihrem Mut und ihrer Liebe, ihrem ganzen großen Potential. Wunderbar vielfältig, um sich gegenseitig zu ergänzen.

Ganz sicher: Es braucht ein neues Selbstbewusstsein unter den Christenmenschen! Jesus hatte damals keine besseren Leute als seine Jünger/ Apostel, die die gute Botschaft weitergetragen haben. Er hat auch heute keine besseren als Dich – mich – uns: Wir sind die Kirche!

Verena Engels-Reiniger