Dienstag, September 10, 2024
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Mein Lied, mein Lebensklang

Gute Lektüre mit unserem Kurseelsorge-Artikel (in Ausgabe Nr. 10, der Bad Wurzacher Bürger- und Gästeinformation vom 08. Mai 2024)!

Mein Lied, mein Lebensklang

Bild zeigt einen Stift, mit dem etwas geschrieben wirdMan muss es erleben: Wie bei den Leuten die Gesichter aufgehen! Wie ihre Augen zu glänzen beginnen, wie sie gelöst werden, aufleben, Kontakt miteinander aufnehmen! – Liebe Leserin, lieber Leser, gleich erraten Sie, wodurch…

In der Kur & Reha-Seelsorge begegnen wir ständig neuen Patient*innen. Man kennt sich nicht, da sind viele natürlich erstmal zurückhaltend, zumal ihre Krankheit ihnen zu schaffen macht. Sie leiden, sind geschwächt, verunsichert, in Sorge. Wegen all dem geben sie sich verständlicher-weise reserviert. Es ist also für uns als Seelsorgende nicht ganz leicht, Zugang zu ihnen zu finden.

Was kann zum Schlüssel werden? Ganz einfach: ein Lied, eine bekannte Melodie – da horchen die meisten auf! Werden bereit zum Kontakt, häufig sogar zum Mitsingen. Zum Beispiel Frühlingslieder, die meisten kennen „Komm, lieber Mai“ und „Geh aus, mein Herz“ oder „Alles neu macht der Mai“, „Es tönen die Lieder“ u. v.m.

Aus der Kindheit bewahrt, er-weisen die Lieder sich für Patient*innen jetzt als ein Schatz. Da sollten Sie mal hören, wie sie, die  Mühseligen und Beladenen, dann oft einstimmen! Dar-unter immer welche, die erst behauptet haben, überhaupt nicht singen zu können bzw. nicht mehr. Doch dann tun sie’s, egal wie, leise oder laut, hoch oder tief. Und ganz wunderbar: Vorher manchmal mürrisch wirkende Leute werden aufgeschlossen und fröhlich umgestimmt. In der Tat, Musik & Singen, welch ein Potenzial! Schon im Gemeindepfarramt hab ich‘s viele Male erlebt: Es lohnt, Leute zum Singen zu verlocken, ja, sie gelegentlich geradezu zum Mitsingen zu verführen! Die staunen dann. Freuen sich, was an Liedern sie noch kennen. Dass sie tatsächlich doch singen können – und wie gut das tut!

Mit Musik & Singen bin ich selber glücklich dran. Von Kindheit an war’s in meiner Familie das Natürlichste von der Welt. Ist es ja ursprünglich in allen Kulturen, zu allen Anlässen und Lebenslagen. Zuhause, in Kita und Schule, beim Backen, auf Freizeiten, bei Festen, beim Wandern: Singen gehörte einfach dazu. Auch abends vor dem Einschlafen mit Mutter und Geschwistern. Melodien & Texte haben sich mühelos eingeprägt, und später wird einem bewusst, wie tröstlich viele sind. Wie gut sie ausdrücken, was wir fühlen und erfahren. Was an Einsicht & Weisheit in ihnen steckt… Deshalb DANKE den (Groß-)Eltern und Allen, die uns Lust mach(t)en zum Singen, zur Musik!

Und ja, inzwischen auch „die Wissenschaft hat festgestellt, dass …“ Singen & Musizieren schlau macht und die Sozialkompetenz fördert. Zum Glück wird heutzutage meist kreativ und mit Spaß dazu angeleitet! Ältere Leute erzählen oft: Wenn sie als Kind sich erstmal schwer taten, den Ton zu treffen, die Stimme zu halten – dass es dann rasch hieß „Sei still! Du kannst eh nicht singen!“ Das hat sie meist lebenslang entmutigt, ein Jammer! Dabei bietet grade das Singen viele Chancen: Es bringt die Menschen zusammen. Egal welcher Herkunft, Kultur und Religion, Gehaltsklasse etc:

Wer immer im Chor singt, in einer Band oder im Orchester spielt, erlebt, wie im Universum Musik über alle Unterschiede, ja, Gegensätze hinweg total verschiedene Menschen zu einem intensiv kreativen, energievollen Miteinander-Klingen fähig werden! – Freilich herrscht dort trotzdem nicht immer eitel Harmonie. Es „menschelt“, wie überall. Auch besteht kein Anlass zum Idealisieren à la „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder! Böse Menschen haben keine Lieder“ – doch, haben sie! In Diktatur und Autokratie wird Musik schon immer missbraucht zur Indoktrinierung. Dem grad zum Trotz sollten aufgeklärte, freie Menschen entsprechende Lieder anstimmen! Die Stimme, Dein ureigenes „Instrument“, hast Du ja immer bei dir. Die „Muckis“ von Stimmbändern und Kehlkopf halten uns meist bis ins hohe Alter singfähig, schlicht durch Praxis: Meine Schwiegermutter hat noch mit 95 Jahren gesungen!

Denn klar, Singen ist gesund. Weil man dabei besser atmet. Das Gehirn aktiviert und die Seele positiv umstimmt. Musik & Singen wird längst therapeu-tisch eingesetzt, gerade auch in unseren Rehakliniken hier, mit Erfolg z.B. bei neurologischen Erkrankungen. – In ursprünglichen Kulturen wenden Schamanen Klänge, Töne, Summen und Singen an. In biblischer Zeit hatte Israels erster König Saul einen Musiktherapeuten: David, der nach ihm König wurde! Mit Harfenspiel und Singen vertrieb er Sauls depressive Verstimmungen. Viele seiner Psalmen sind bis heute Gebete von Juden und Christen; ursprünglich wurden sie gesungen: In christlichen Klöstern intonierten Ambrosius und Gregor das Psalmensingen.

Auch Martin Luther gehört in diese illustre Reihe: Selbst ein begabter Sänger und Lautespieler, schätzte er Musik als die nach dem biblischen Wort „größt‘ Gottesgab: Mein Stimme klinge, mein Zunge singe, Fröhlichkeit und Schmerz, alles, was ein Herz bewegen kann“. Für ihn war klar, dass Lieder die reformatorischen Ideen, vor allem die Froh’ Botschaft der Bibel, am schnellsten unter die Leute bringen würden. So initiierte er den Druck erster Hefte mit protestantischen Liedern, darunter „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, „Ein feste Burg ist unser Gott und „Nun freut euch, liebe Christen“. Daraus wurden bis dieses Jahr genau 500 Jahre evangelisches Gesangbuch!

Bestimmt mit einigen Ihrer Lieblingslieder, liebe Leserin, lieber Leser! Egal ob evangelisch oder katholisch, längst haben wir viele Lieder gemeinsam, das Evangelische Gesangbuch mit dem „GOTTESLOB“, die „Himmelsklänge“ oder „Jubilate“  mit den „Neuen Liedern“ NL z.B. „Stille Nacht, „Großer Gott, wir loben dich“ u.v.m. Gottlob also im Wortsinn: Singen verbindet uns ökumenisch!

Lass deine ganz persönliche Lebensmelodie lautwerden! Z.B. mit Fritz Baltruweit& Barbara Hustedt 1994:

Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben. Die Töne, den Klang hast du mir gegeben von Wachsen und Werden, von Himmel und Erde, du Quelle des Lebens, Dir sing ich mein Lied. … Den Rhythmus, den Schwung hast du mir gegeben von deiner Geschichte, in die du uns mitnimmst, du Hüter des Lebens – Die Tonart, den Takt hast du mir gegeben von Nähe, die heil macht: wir können dich finden, du Wunder des Lebens… Die Höhen, die Tiefen hast du mir gegeben. Du hältst uns zu-sammen trotz Streit und Verletzung, du Freundin des Lebens! Die Töne, den Klang … von Zeichen der Hoffnung auf steinigen Wegen, du Zukunft des Lebens: Dir sing ich mein Lied. (NL plus 56)