Ich bin so frei
…zum Beispiel, zu wählen
Dieses Jahr wird dem Bauernkrieg 1525 gedacht und den „Zwölf Artikeln“ mit dem Spitzensatz „Darum erfindet sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen!“ Der Dekan unseres evangelischen Kirchen-bezirks Ravensburg, Dr. Martin Hauff, verknüpft ihn mit der Jahreslosung 2025 „Prüft alles und behaltet das Gute.“
Er schreibt: „Die Jahreslosung öffnet eine Tür zur Freiheit. Denn Gott traut uns zu, selbst zu beurteilen, was gut ist für uns und unsere Mitmenschen. Gott mutet uns zu, selbst zu denken und zu entscheiden, statt nur nachzusprechen und nachzumachen, was andere sagen oder tun. Manchmal wird dem christlichen Glauben vorgeworfen, er bevormunde und enge Menschen ein. Aber der Glaube engt nicht ein, sondern öffnet die Tür zur Freiheit! Sie steht dieses Jahr in besonderer Weise im Fokus: Unsere Region Oberschwaben-Allgäu-Bodensee war einer der Hauptschauplätze des Bauernkriegs.
Damals litten die Bauern unter Schikane und Unfreiheit. Durch die Reformation erfuhren sie aus der Bibel, der „Schrift“, von der Befreiungsgeschichte Israels mit Gott durch Mose und vom Evangelium der Freiheit im Neuen Testament. Davon inspiriert, verfassten am 16. 2. 1525 Bauern aus 27 Dörfern um Memmingen zunächst eine Beschwerde- und Bittschrift an den Rat dieser Stadt. Im März 1225 formulierten dann einige Bauern gemeinsam mit dem Laientheologen Sebastian Lotzer die „12 Artikel“ – laut Dekan Hauff „ein faszinierend progressives Reform-programm. Darin wird eine Gesellschaft freier Menschen skizziert, in der das Recht gilt, nicht die Willkür. Wo Menschen sich ausrichten auf den Freiheit schenkenden Gott. Sie wurden so wegweisend, dass man mit Fug und Recht sagen kann:
Im Allgäu liegt ein Ursprung der Menschenrechte…
Aber durch den Gang der Ereignisse wurde die Tür zur Freiheit für lange Zeit wieder zugeschlagen.“ – Mehr Interessantes dazu bietet das „Memminger Projekt Freiheit“, die bayrische Landesausstellung dort ab Mitte März. Liest man, wie die Bauern damals unterdrückt und ausgebeutet wurden, dann graut einem. Martin Luther urteilte: „Einige der 12 Artikel sind so gerecht, dass sie euch, den Herren, vor Gott und der Welt zur Schande gereichen! […] Nun ist’s ja auf die Dauer unerträglich, die Leute so zu besteuern und zu schinden.“
… unter Berufung auf die Bibel
Dennoch schlug Luther sich letztlich auf die Seite der Obrigkeit: wegen blutiger Gewalttaten von Bauern. Weil sie sich auf die Schrift und auf ihn beriefen. Und aus Sorge um die (nach seiner Überzeugung) gottgefügte Ordnung in Staat und Gemeinwesen. – Es war ein Ringen weit ins 20. Jahrhundert hinein, bis hierzulande jede Willkürherrschaft ein Ende hatte. Bis für alle Mitglieder der Gesellschaft die Benachteiligungen abgeschafft waren. Bis galt:
Gleiches Recht & Freiheit für alle!
Global sieht es anders aus. Noch sind Millionen von Menschen so schlecht dran wie die Bauern vor 500 Jahren: ausgebeutet und geschunden, werden ihnen Recht & Freiheit vorenthalten. – Auch in vielen demokratischen Staaten klafft oft eine Kluft zwischen realen Lebensverhältnissen und den in Verfassung/ Grundgesetz garantierten Rechten. – „500 Jahre nach dem Bauernkrieg leben wir in Freiheit“ so Hauff. Damit haben wir eine große Chance und Aufgabe: unser Leben frei zu gestalten – unser Zusammenleben. Im Widerstreit der Meinungen, bei Interessen-konflikten und gegensätzlichen Standpunkten wird uns zugetraut und zugemutet,
alles zu prüfen und herauszufinden, was das Gute sei – gerade auch politisch, also in den Problemen, die uns alle betreffen, sozial – wirtschaftlich – ökologisch. Welches Recht für welche der hier lebenden Menschen gelten soll, ob sie „Bio-Deutscher, fachlich qualifizierte Zugewanderte oder ungere-gelter Migrant“ sind: alles Menschen, die Schutz, Hilfe und ein besseres Leben suchen. Die teilhaben wollen an der Rechtssicherheit hier, an Chancen auf Freiheit und Wohlstand. Am von ihnen ersehnten, von uns Hiesigen beanspruchten Guten.
1525 ist es misslungen, aus den Bauernprotesten und kriegerischen Auseinander-setzungen heraus zu einem fairen Vergleich zu kommen. Den Unfreien wurde ihr Recht nicht zuteil. Das hat viel Leid und Verbitterung erzeugt. Es hat dem Frieden nicht gedient.
Wie machen wir‘s heute besser?
Noch einmal Dekan Hauff: „Wir spüren die Verantwortung, die Tür zur Freiheit offen zu halten. Auch dadurch, dass wir die vielen Stimmen und Stimmungen, die auf uns einstürmen, prüfen, das Gute behalten und ins Leben eintragen. Dem guten christlichen Handeln geht voraus, Gutes und Heilvolles zu erleben – dank Gott, durch Jesus Christus. Sein wertschätzender, aufrichtender Umgang mit Menschen ist Maßstab meines prüfenden Blicks“. Als Christenmenschen, die begreifen, dass „frei & gerecht vor Gott“ und „frei & gerecht auf Erden“ zusammenhängen, gilt es prüfend hinzuschauen & hinzuhören, wie das Politische, von Parteien und Personen verhandelt wird. Und dann zu wählen, was dem Guten am nächsten kommt. Für Alle.
Verena Engels-Reiniger
Artikel der Kurseelsorge in Ausgabe Nr. 4 von „Bad Wurzach Natürlich. Informativ“ vom 22. Februar 2025