Samstag, April 19, 2025
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Fasten – oder die Kunst, bereichernd wegzulassen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Bild, das den Kupferstich einer Rübe zeigt, von Ferdinand Bernhard Vietz
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Max Liebermann (1847-1935) – Maler, Grafiker und einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Impressionismus, sagte einmal:

Die gut gemalte Rübe ist besser als die schlecht gemalte Madonna.

Damit betonte er, dass nicht das Motiv, sondern die künstlerische Fähigkeit den Wert eines Bildes bestimmt. Noch prägnanter fasste er seine Vorstellung von Zeichenkunst zusammen: „Zeichnen heißt Weglassen.“ Denn erst durch das bewusste Reduzieren auf das Wesentliche gewinnen Linien und Konturen an Klarheit. – Der/Die Künstler:in verzichtet also auf Details, die zwar für sie oder ihn sichtbar sind, aber den Blick auf das Wesentliche stören könnten.

Diese Prinzipien, denke ich, gelten nicht nur für die Kunst, sondern auch für das Leben und den Glauben. – „Kann das weg?“ lautet dabei die zentrale Frage; die (nicht nur) für Menschen aus dem Schwabenland kaum lösbar erscheint. Weshalb? Das Komikerduo „Ernst & Heinrich“ (ab 0:38) besingt es folgendermaßen:

»I kâ´s ned furtschmeissâ, i muss es aufhebâ, s´isch pfennigguâd, s´wär ewig schâd. – I râim´s ins schlofzimmr, i râim´s ins wohnzimmr und wenn des voll isch, tun i´s ins bâd.«

Mit anderen Worten: „Was weg ist, ist weg. Aber ich weiß ja nicht, was wäre, wenn? Deshalb behalte ich es lieber!“

Und genau das ist der Haken: Ich soll nicht möglichen Eventualitäten nachhängen, sondern ich soll mich entscheiden und akzeptieren, dass Manches dann eben nicht geht. – So zu handeln und zu fragen, ist zentral für eine klare Lebensführung im Sinne Jesu: Welchen Ballast kann ich abwerfen, um mehr Klarheit in mein Verhalten und meine Entscheidungen zu bringen? Welche Gewohnheiten oder Zwänge hindern mich daran, mich auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren? Welche Nebensächlichkeiten lenken mich derart ab, dass ich meine großen Ziele aus dem Blick verliere?

Diese Fragen treiben auch Jesus um, als er mit Zorn die Situation im Jerusalemer Tempel betrachtet (Joh 2,13–25). Die routinierte Geschäftigkeit der Händler und Geldwechsler verdrängt das Eigentliche: An diesem heiligen Ort soll es um die Ehre Gottes gehen, um seine heilsame Gegenwart. Doch das Unwesentliche hat sich in den Vordergrund gedrängt. Was bedeutet: es muss weichen. Die radikale Reinigung des Tempels ist also ein Symbol für das Notwendige: das Entrümpeln und Befreien von dem, was den Blick auf Gott verstellt.

Gerade die Fastenzeit bietet die Gelegenheit, das eigene Leben zu „entrümpeln“ und sich wieder auf die Botschaft Jesu zu besinnen. Und ich frage mich: Was geschieht, wenn ich auf allzu viele Worte verzichte? Wird das Wesentliche dann umso deutlicher? Was gewinne ich, wenn ich Termine reduziere, das Lebenstempo verlangsame, oder mich bewusst gegen ständige Erreichbarkeit entscheide? – Oft führen diese bewussten Verzichte zur Rückbesinnung auf das, was mir wirklich am Herzen liegt.

Diese Fragen sollten sich jedoch nicht nur Sie und ich als Einzelne stellen, sondern unsere Kirchen und ihre Verantwortlichen als Ganzes. – Ersticken nicht oft Satzungen, Regularien und starre Strukturen die zentralen Themen des Glaubens? Verdecken alte Machtmuster, veraltete Denkweisen und eine unverständliche Sprache nicht häufig die befreiende Botschaft Jesu? Sollte hier nicht endlich ein Umdenken stattfinden?

Martin Heidegger (1889-1976) formulierte dazu treffend – auf derselben Linie wie Max Liebermann:

Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.

In diesem Sinne wünsche ich uns ein bereicherndes Weglassen, damit wir die Kraft des Einfachen in der Fastenzeit neu erfahren.

Raimund Miller, Kurseelsorge


Artikel der Kurseelsorge in Ausgabe Nr. 5 von „Bad Wurzach Natürlich. Informativ“ vom 08. März 2025