Der „gute Deutsche“. – Gedanken zu Dietrich Bonhoeffer
…anlässlich seines 80. Todestages
Liebe Leserin, lieber Leser, am 27. Juli 1945 fand in der „Holy Trinity Church“ in London ein bemerkenswerter Gedenkgottesdienst statt. Bemerkenswert, weil er einem Deutschen galt. – Dass es davon auch „gute“ geben könnte? Für Briten unvorstellbar!

Jener „gute Deutsche“ war der ev. Theologe Dietrich Bonhoeffer – der als Mitglied einer Gruppe von Verschworenen versucht hatte, das Nazi-Regime zu stürzen. Vermutlich trug eigenes Versagen dazu bei, dass er sich derart vehement widersetzte: Noch im Jahr 1933 hatte Bonhoeffer dem Wunsch seiner geliebten Zwillingsschwester Sabine widersprochen, die Grabrede auf ihren verstorbenen jüdischen Schwiegervater zu halten. Er gehorchte damit seiner Kirchenleitung und kapitulierte so vor der Obrigkeit. Das machte ihm lange zu schaffen – umsomehr, als seine Kirche selbst in den Sog des Nationalsozialismus geriet.
Ein Gegner der Nazis war Bonhoeffer jedoch von Anfang an. Bereits kurz nach Hitlers Machtergreifung prangerte er an, dass Staat und Gesellschaft gleichgeschalten wurden. Im Rundfunk sprach Bonhoeffer davon, dass ein echter „Führer“ seine Autorität begrenzen müsse. Und für die Verfolgten des NS-Regimes forderte er kirchliche Unterstützung – was v.a. die Juden miteinschloss.
In diesen Zusammenhang gehört das berühmte Zitat, dass man „dem Rad in die Speichen fallen“ müsse, wenn der Staat in seiner Funktion versage, Recht und Ordnung zu schaffen. – Diese Verortung des Zitats ist mit aller Macht festzuhalten! Weil aktuell „christliche“ bzw. evangelikale Nationalisten alles instrumentalisieren, was Bonhoeffer ausmacht, und ihn in sein Gegenteil verkehren. So geschehen 2024 im US-Wahlkampf – für Trump; oder im neuen Bonhoeffer-Kinofilm. Da wird er „ganz gezielt missbraucht“, urteilt sein Großneffe, Tobias Korenke.
Mit seinem Eintreten für die Juden fand Bonhoeffer in seiner Kirche wenig Rückhalt. Im Gegenteil. Viele Verantwortliche unterstützten offen den Nationalsozialismus. Wie z.B. Reichsbischof Ludwig Müller. Dieser war bereits 1931 der NSDAP beigetreten und ließ die ev. Jugendorganisationen in die HJ eingliedern. – Laut eigener Aussage empfand Bonhoeffer, dass er sich gegen alle seine Freunde „in einer radikalen Opposition befände“. Aus diesem Gefühl der Isolation beschloss er, Deutschland vorübergehend zu verlassen. Ab Oktober 1933 ging er für zwei Jahre nach London, wo er als Pastor deutsche Gemeinden betreute.
Aber auch nach seiner Rückkehr änderte sich wenig an seiner Situation. Selbst in der „Bekennenden Kirche“ fand Bonhoeffer immer weniger Unterstützung. Deshalb verließ er Deutschland erneut, und brach im Juni 1939 nach New York auf. Schon einen Monat später machte er sich wieder auf den Rückweg. Zu stark fühlte er sich für seine Heimat verantwortlich, als dass er sie im Stich lassen konnte. – Zurück in Deutschland traf er dann seine Wahl. Über seinen Schwager Hans von Dohnanyi nahm Bonhoeffer Verbindung zum Geheimdienst der Wehrmacht auf: Hitler zu beseitigen, lautete das Ziel.
Ein Attentat auf den Diktator schien dazu die erfolgversprechendste Lösung zu sein. Bonhoeffer selbst hatte dabei die Aufgabe, als Verbindungsmann Kontakte zu ausländischen Regierungen zu knüpfen und sie über den deutschen Widerstand zu informieren. Nach einem Umsturz, so die Hoffnung, würden jene darauf verzichten, Deutschland militärisch zu überrollen und einem „maßvollen“ Frieden zustimmen. Erfolg hatte Bonhoeffer damit jedoch nicht.
Über die persönlichen Deformierungen, die das Leben im Widerstand mit sich brachte, äußerte er sich Ende 1943 dementsprechend so: »Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen (und) sind mit vielen Wassern gewaschen… Wir sind durch Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit oft schuldig bleiben. Wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden. – Sind wir noch brauchbar?« Für Bonhoeffer war diese Frage zentral. Denn als Christ und Pazifist hatte er moralische Skrupel, am geplanten Tyrannenmord mitzuwirken. Gleichzeitig bekannte er – seine Gewissensqual überwindend – bewusst gegen das göttliche Gebot „Du sollst nicht töten!“ zu verstoßen und schuldig zu werden.
Doch sämtliche Attentatsversuche scheiterten. Am spektakulärsten jener vom 20. Juli 1944. Obwohl dann viele aus der Verschwörung verhaftet und hingerichtet wurden, blieb Bonhoeffers Rolle zunächst unentdeckt. Im Herbst allerdings fand die Gestapo geheime Dokumente, die ihn belasteten; weshalb er als persönlicher Gefangener Hitlers inhaftiert wurde.
Was das für ihn bedeutete, war klar und hatte ihn beinahe zerrissen. »Krank wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, hungernd nach Farben, dürstend nach menschlicher Nähe, zitternd vor Zorn über Willkür« so fühlte sich Bonhoeffer. Dennoch war da „eine gute Macht“, die ihn »gelassen und heiter und fest aus meiner Zelle treten ließ – frei und freundlich und klar mit meinen Bewachern sprechend, als hätte ich zu gebieten«. In dieser Spannung trat Dietrich Bonhoeffer seinen letzten Weg an – als er am 9. April 1945 von der SS ermordet wurde. Wissend: Was auch geschieht, »Dein bin ich, o Gott!«
Raimund Miller, Kurseelsorge
PS: Herzliche Einladung, anlässlich seines 80. Todestages, dem „guten Deutschen“ nahezukommen! Zum einen filmisch, direkt am 09. April, um 19:30 Uhr – oder/und feierlich, in einem Predigtgottesdienst zum Gedenken an Dietrich Bonhoeffer, am Sonntag davor, dem 06. April, um 10:00 Uhr. Beide Male in der Ev. Kirche Bad Wurzach.
Artikel der Kurseelsorge in Ausgabe Nr. 7 von „Bad Wurzach Natürlich. Informativ“ vom 05. April 2025